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ANONYMUS

Erst machte sich Wut breit, so abgefertigt worden zu sein, so übergangen, so unverstanden, so in den Dreck gestoßen worden zu sein. Mit der Wut war es dann schnell vorbei und etwas viel schlimmeres machte sich Platz, Enttäuschung, blanke und reine Enttäuschung und ein Gedanke reifte, die Idee des Gegenwertes. Ja, man wollte etwas zurückhaben - egal was man sein ganzes Leben davon gehalten hatte, egal, daß man nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet hatte, jetzt wollte man etwas zurückhaben, teilhaben. Und es tut ungeheuer weh, man will es eigentlich gar nicht, aber um diesen Schmerz abzustellen gibt es nur einen Ausweg, man darf einfach nichts erwarten, dann werden diese Erwartungen auch nicht enttäuscht und es muß einem besser damit gehen.
Es muß.
Das ist so ja kein Zustand. Und dann erwartet man nichts mehr, nimmt es sich zumindest vor. Ganz von allein stellt sich dann, unmerklich zunächst, ein Verhalten ein, das nicht nur nichts mehr von ihm erwartet, es gibt auch nichts mehr: man hat keine Zeit, notwendige Treffen sind nur noch eine Punktlandung, kurz hin und gleich darauf wieder weg, kein gemeinsames privates Wort mehr, Kenntnisnahme höchstens, Höflichkeiten, betonte Höflichkeiten und nicht mehr. Egal was er tut oder läßt, alles wird angegriffen, niedergemacht und belächelt, man entwickelt sich erst langsam und dann immer schneller zu einem Schwein und ist voll im Recht! Dann merkt man es irgendwann, zarter besaitete Gemüter reagieren plötzlich erschrocken, entsetzt, wundern sich, schütteln den Kopf und dann fühlt man sich plötzlich noch schlechter als ganz zu Anfang, dann haben andere auch etwas abbekommen aber man kann nicht mehr zurück. Was ein Schlamassel!
Wie soll man seine Einstellung zu all' diesen Menschen denn nun gestalten? Keine Erwartungen mehr? Ein ganzes Leben, eine ganze Linie einfach so verschwinden lassen? Immer so unausstehlich sein? Wie lange machen andere das wohl mit, denn immerhin haben sie sich bis jetzt von dieser Einstellung, von diesem neuen Gegärden nicht verscheuchen lassen. Wieso eigentlich nicht? Es ist zum aus der Haut fahren! Hören Sie mir noch zu? Na und wenn schon..."
Man sinkt etwas erschöpft auf das Bett nieder, war die ganze Zeit durch die Wohnung gelaufen, mit der freien Hand wild gestikulierend und irgendwie steht jetzt der Schweiß auf der Stirn, von draußen weht es nun gegen die Scheiben, die Tropfen haben ihren wohligen Klang verloren.

©  für die Geschichte: Martin Boehnke

 

©  für den Adventskalender 2000: Karl-Martin Voget