ANONYMUS
Das Telephon klingelt.
Das mußte jetzt natürlich sein, mitten in dieser wundervollen Stimmung.
Man wühlt sich aus dem Sessel, hangelt nach der helfenden Tischkante und schlägt in Richtung Klingelton den Weg zum Hörer ein.
"Ja?"
Eigentlich ist es eine unmögliche Art, sich am Telephon so zu melden, der Anrufer wird stets im Ungewissen gelassen, ob er denn wirklich richtig ist oder sein Anliegen jemand vollkommen uninteressierten und auch unberechtigten anträgt - sei es drum, man will dem Störer schließlich wenigstens unter der Stimme die Abneigung zu seinem Verhalten ausdrücken können, das steht einem wohl zu. Dem Hörer ist nur ein lautes Rauschen zu entnehmen, es knistert und knackst, manchmal piept es sogar und irgendwo dahinter, ja, da spricht auch jemand. "Hallo?" fragt man in den Hörer. "Ist da jemand?" Immer nur das gleiche undurchdringliche Getöse in der Leitung, am anderen Ende scheint man aber zumindest etwas gehört zu haben, abwartende Stille.
"Ja, können Sie mich verstehen? Ich kann Sie nicht verstehen, die Verbindung ist so schlecht!" - Eine dieser Situationen in denen in guten alten Filmen wild auf die Gabel geschlagen wird, 'Hallo? Hallo?', das Zeitalter tragbarer Geräte hat uns dieses romantischen Einschlags beim Telephonieren beraubt, das Drücken des Knöpfchens hätte höchstens die abrupte Beendigung des Gesprächs zur Folge und nur noch die Dauer desselben würde im Display angezeigt. Was darüber hinaus aber geblieben ist, das ist die unlogische und überflüssige Frage, ob der andere einen denn verstehen könne, denn selbst wenn dieser die Frage verstünde und sogar antwortete, könnte man diese Antwort dennoch nicht verstehen, deshalb fragte man ja - im Film hebt das dann ungeheuer die Dramatik. Im Grunde könnte man gleich wieder auflegen, wenn man den anderen nicht versteht, denn das versteht der andere dann auf jeden Fall, ob er einen nun verstanden hat oder nicht. Wie gesagt, irgendetwas kommt an am anderen Ende, aber kein Wort ist zu entzerren, er antwortete irgendetwas. Vielleicht ist es ja etwas wichtiges, also macht man trotzdem weiter und Abwechslung bringt es ja auch.
"Tut mir Leid, ich kann Sie nicht verstehen! Sprechen Sie doch lauter!"
Schweigen, man meint ein Seufzen, ein resignierendes zu hören.
"Hallo? Sind sie noch dran?"
Knacks und das Gespräch ist weg, "Bitte auflegen" empfiehlt die Technik.
Schade eigentlich.
Vielleicht könnte einen ein alter Horrorfilm auf andere Gedanken bringen, so einer in dem das zukünftige Opfer den Mörder im eigenen Haus weiß und unter dem Bett liegend versucht, unter wildem Einschlagen auf die Gabel eine Verbindung zur Polizei herzustellen, obwohl das Kabel doch längst durchgeschnitten ist...
Das Telephon klingelt wieder.
© für die Geschichte: Martin Boehnke
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