Wort zum Monat November 2001

Der Prophet Hesekiel schreibt:
Gott spricht: Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.

(Hesekiel 34, 16)

Verlorene, Verirrte, Verwundete und Schwache - davon gibt's genug auf der Erde. Gerade jetzt. Noch vor wenigen Wochen haben sie die Medien beherrscht: Bilder aus New York, Bilder aus Afghanistan und Israel standen uns täglich vor Augen. Inzwischen sind wir einen Schritt weiter: Vom Leid der Menschen in den Krisengebieten der Erde - vor allem den akuten Brandherden der Gewalt - ist weniger die Rede. Jetzt geht es um militärische Erfolge gegen die Taliban, um die Preise für Medikamente gegen den Milzbrand... Eine neue Normalität stellt sich ein. Das Leben muss weitergehen - wie das Geschäft.
Aber die Worte, die uns der Prophet Hesekiel von Gott ausrichtet, stehen dagegen. Für Gott treten die leidenden Menschen nicht in den Hintergrund oder geraten gar ins Vergessen.
Die Verlorenen, die Verwirrten, die Verwundeten und die Schwachen - sie stehen im Mittelpunkt! Hesekiel sieht, was mit seinem Volk passiert: Im babylonischen Exil leben sie zerrissen und entwurzelt, weit weg von ihrer Heimat und vor allem: ihrem Tempel - dem Ort, an dem sie bis dahin Gott im Kult dankten und um seine Vergebung bitten konnten.
Hesekiel verstummt aber nicht im Angesicht des Leides, wird nicht fatalistisch - wie einer, der nach dem 11. September zu mir sagte: "Was soll's? Vor dem Terror können wir uns sowieso nicht schützen!" Hesekiel geht nicht über zu einer neuen Normalität. Nein, Hesekiel glaubt an Gott, den guten Hirten. Der zeigt uns in Christus sein menschliches Gesicht, der kann und will sich aller Menschen annehmen. Gott will das Elend seiner Menschen überall auf der Erde nicht einfach hinnehmen: Wieder suchen, zurückbringen, verbinden, stärken, schützen und behüten - das sind seine Absichten!
Diese Worte rufen Bilder in mir wach, die ich kaum zu träumen wage: Menschen werden gerettet, bekommen genug zu essen und zu trinken; sie können ohne Angst in ihre Häuser zurückkehren, und die Waffen, die Minen im Boden sind alle weg. Für Verwundete und Kranke wird alles getan. Kinder - Jungen und Mädchen - können zur Schule gehen und Frauen ohne Angst das Gesicht zeigen, die Sonne unverschleiert sehen und frei atmen. Die Trümmer werden beseitigt, das Leben, die Liebe und das Lachen dürfen wieder blühen.
Wagen wir es doch, so zu träumen! Verwandeln wir doch solche Friedensträume in Friedensgebete und durchdringen damit die ganze Welt! Gott wird unser Beten nicht unbeantwortet lassen, er wird uns Kraft geben, ihm zu helfen - beim wieder suchen, zurückbringen, verbinden, stärken, schützen und behüten!

Pastorin Christiane Neukirch
Gehörlosenpfarramt Hannover

Die Meditationen wurden veröffentlicht im Rahmen der
Homepage der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover.
Die Rechte an den Texten liegen bei den Verfassern.


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