Wort zum Monat September 2005

Jesus Christus spricht:
Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.

(Lukas 12, 15)

Habgierig? Nein, so möchte gewiss niemand erscheinen. Geld macht zwar nicht glücklich, wie der Volksmund weiß, aber eine beruhigende Wirkung geht von ihm ganz sicher aus. Und raten nicht die Finanz- und Rentenexperten schon Berufsanfängern, möglichst früh mit dem Sparen und dem Aufbau von Vermögenswerten zu beginnen? Wer also im Alter sorglos leben will, muss viele Güter erwerben. Was hat diese Vorsorge mit Habgier zu tun?
Noch mehr irritiert das Verdikt Jesu, wenn man den dazugehörenden Abschnitt im Lukasevangelium liest (12,13-15). Da kommt einer zu Jesus und bittet ihn, dass er seinem Bruder klar mache, das Erbe mit ihm zu teilen. Erbstreitigkeiten sind mit das Schrecklichste, was in Familien geschehen kann. Auseinandersetzungen ums Erbe können selbst engste Familienbande sprengen und für immer zerstören. Statt sich auf die Seite des Ratsuchenden zu stellen, reagiert Jesus schroff: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt?" Und dann folgt die Mahnung, sich vor Habgier zu hüten. Das kommt ziemlich überraschend. Wie kann Jesus einem eindeutig Erbberechtigten Habgier vorwerfen?
Warum Jesus so argumentiert und wie er denkt, wird deutlich, wenn man die nächsten beiden Abschnitte im Lukasevangelium liest: das Gleichnis vom reichen Kornbauern (12,16-21) sowie seine Ausführungen zum rechten und falschen Sorgen (12,22-34).
Keine Frage: Jeder Mensch soll sein Auskommen haben. Aber: „Wer Geld liebt, wird vom Geld niemals satt, und wer Reichtum liebt, wird keinen Nutzen davon haben", heißt es im Alten Testament (Prediger 5,9). Es ist der Zweck, den Jesus anprangert. Genug zum Leben zu haben - in Ordnung! Reichtümer anzustreben, also mehr haben zu wollen als notwendig ist - das kritisiert Jesus. Weil Menschen dann, so könnte man im biblischen Zusammenhang ergänzen, ihr Vertrauen letztlich aufs Geld setzen und nicht auf Gott. Mehr noch: Im Streben nach Reichtum lauert noch eine andere Gefahr: „Die reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Verstrickung und in viele törichte und schädliche Begierden, welche die Menschen versinken lassen in Verderben und Verdammnis. Denn Geldgier ist eine Wurzel alles Übels", mahnt 1. Timotheus 6,9f.
Letztlich wird man auch ein Fragezeichen hinter die Auffassung setzen können, das vom Geld eine beruhigende Wirkung ausgeht. Das Gegenteil ist meist der Fall: Menschen, die viel Besitz haben, leiden nicht selten unter der Angst, alles zu verlieren. So gesehen, hat Jesus Recht, wenn er darauf hinweist, dass niemand davon lebt, dass er viele Güter hat. Was ist das für ein Leben, in dem mich die Angst schier verzehrt, ich könnte davon etwas einbüßen? Lieber weniger bzw. genug zum Leben zu haben und dafür glücklich zu sein, als viel und sich dann mit vielen Sorgen herumschlagen zu müssen.

OKR Udo Hahn




Udo Hahn
Der Autor ist Oberkirchenrat. Er leitet die Stabsstelle „Medien und Publizistik" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover.

Homepage: www.ekd.de

Die Meditationen wurden veröffentlicht im Rahmen der
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