Wort zum Monat Dezember 2004

Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet.

(Jesaja 61, 10)

Die Kleider des Heils und der Mantel der Gerechtigkeit: Das sind Bilder, die aus einem Traum des Jesaja kommen. Jesaja sagt: „Nichts bleibt so wie es ist, weil Gott uns eine gute Zukunft eröffnet." Damals wie heute passt das nicht so recht in die Landschaft gewohnter Gedanken. Fünfhundert Jahre vor Christus stand die Israeliten, die aus dem Exil zurückkehrten, vor den Trümmern ihrer zerstörten Heimat.
Und heute? Die Menschen haben schon hoffnungsvoller in die Zukunft geblickt. Die Zahl der Arbeitslosen, die Krise des Sozialstaats macht vielen Sorgen. Und die Menschen fragen sich: Welche Welt hinterlassen wir den nachfolgenden Generationen.
Träumer und Visionäre hatten schon bessere Zeiten. Im Moment sind einfache, schnelle Antworten gefragt. Sie reichen aber oft nicht über den Tag hinaus. Jesaja passte nicht in seine Zeit. Und er passt nicht in unsere Zeit.
Diese Bilder Jesajas waren in der Vergangenheit nicht für die Poster in den Fußgängerzonen geeignet, und sie sind es heute nicht. Gerade deshalb lohnt es sich, darüber nachzudenken. Ich bin überzeugt: Jesaja will einen großen Bogen spannen. Seine Bilder erinnern an den Anfang der biblischen Menschheitsgeschichte: Als Eva und Adam aus dem Garten Eden fortgeschickt werden, da macht Gott selbst ihnen Kleider. Er wollte die Menschen vor Wind und Wetter und vor den zudringlichen Blicken anderer schützen. Kleider sind also von Beginn an ein Zeichen der Barmherzigkeit Gottes. Gott stellt uns nicht in Scham und Schuld bloß, sondern er schützt und bedeckt uns. Sehr viel später wird Jesus im Gleichnis „Vom verlorenen Sohn" (Lukas 15) dieses Bild wieder aufnehmen. Er erzählt von einem Vater, der seinem heimkehrenden Sohn (der unter die Räder gekommen ist) entgegenläuft. Aus Freude über seine Rückkehr lässt er als erstes „das beste Gewand" kommen und schenkt ihm Schuhe für seine Füße. So handelt auch Gott.
Von Gott bekleidet zu werden, das heißt: nach Scheitern und Schande nicht die Haut zu Markte tragen müssen, sondern neu leben zu können. „Zieht den neuen Mantel an!" lädt der Epheserbrief ein (4,24). Kinder verkleiden sich manchmal im Spiel als Ritter oder Prinzessin. Und dann sind sie Prinzessin oder Ritter.
So verhält es sich mit den „Kleidern des Heils". Die sind allerdings nicht nur geliehen, um zu „tun als ob". Ich bekomme sie geschenkt, um diese neue Wirklichkeit zu leben.
Natürlich melden sich hier die Desillusionierten zu Wort, die angeblich wissen, wie die Welt wirklich ist: „Das sind doch nur Kinderphantasien, Träume für Weltfremde. - Erst müssen sich Steine zu Brot verwandeln oder Rosen aus Stacheldraht blühen. Erst dann bin ich bereit, solche Träume ernst zu nehmen."
Und wenn dein Kind dich morgen fragt: Wie sehen deine Träume aus von der Zukunft?
Wie eine roter Faden zieht sich in der jüdisch-christlichen Tradition dieser Traum: das Ende von Zerstörung, Hunger und Gewalt. Steine, die sich in Brot verwandeln. Allen Menschen Gerechtigkeit und Frieden. Ein neuer Himmel und eine neue Erde. Träume tragen Namen: der Messias. - Träume von Generation zu Generation wie ein kostbares und freudiges Vermächtnis weitergegeben. „Ich habe einen Traum ...", wer erinnert sich nicht an Martin Luther King?
Wir feiern in diesen Tagen wieder diese Freude, dass Gott Mensch geworden ist. Hier hat, so glauben Christen, der uralte Traum des Jesaja und anderer Propheten in Jesus Christus seine Mitte erhalten. Gott hat sich in ihm in diese zerrissene Welt begeben, mitten hinein in Hoffnungslosigkeit, Kriege, Unrecht und Angst. Das hat nicht die Welt von allem Unrecht und Leid, befreit aber es hat ihr ein anderes Vorzeichen geben.
„Manchmal, manchmal werden Träume wahr, sprudeln Quellen inmitten der Wüste, trägt der Stacheldraht rote Rosen. In einer jener Nächte brach herein, was Generationen von Vätern ihren Kindern als Vision eingebrannt und was doch nur wenige für möglich gehalten hatten. In jener Nacht hielten selbst die Sterne für einen Augenblick den Atem an. In dieser Nacht öffnete sich uns der Himmel. Ist es ein Traum oder ist es Wirklichkeit?"
Die Hirten, die ersten, die an der Krippe waren, waren Träumer. Sie hielten die alten Verheißungen des Jesaja in Erinnerung träumten gegen die wundmachenden Verhältnisse an. Die Hirten stehen bis heute für alle Menschen, deren Seele noch empfindsam und für Wunder empfänglich sind.
Träumer finden sich nicht mit unseren Verhältnissen ab, sondern träumen gegen Unrecht und Krieg, gegen Resignation und Schmerz an. Die Träumer, die ich mir vorstelle, bleiben nicht stehen oder geben auf. Ihre Träume sind Hoffungen, die durch den Horizont blicken können. Sie vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes.
Seit jener Nacht in Bethlehem hat unser Träumen eine Mitte: Gottes menschgewordene Liebe. Die Treue Gottes, der Ursprung und Ziel der Welt ist. Der seinem Heilswillen für uns Menschen einen Namen gegeben hat, der Bestand hat im Wechsel der Zeiten: Jesus Christus. Der hält uns das Kleid des Heils und der Gerechtigkeit hin, damit wir hineinsteigen können und erleben, wie Gottes Schöpferkraft uns im Alltag zum Leben befreit.Pastor Ralf Tyra





Pastor Ralf Tyra
Geschäftsführer der Hanns-Lilje-Stiftung / Hannover

Homepage: Hanns-Lilje-Stiftung

Die Meditationen wurden veröffentlicht im Rahmen der
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Die Rechte an den Texten liegen bei den Verfassern.


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