Wort zum Monat Januar 2007

Du bist ein Gott, der mich sieht.

(Genesis 16, 13 b)

Im Kindergottesdienst sangen wir mit den Kindern
          „Pass auf, kleines Auge, was du siehst!
          Pass auf, kleines Auge, was du siehst!
          Denn der Vater in dem Himmel schaut herab auf dich,
          drum pass auf, kleines Auge, was du siehst!"
Und die weiteren Strophen: „pass auf, kleines Ohr, was du hörst…, kleiner Mund, was du sprichst…, kleine Hand, was du tust…, kleiner Fuß, wo du gehst…, usw.". Und immer wieder die Warnung „denn der Vater in dem Himmel schaut herab auf dich, drum pass auf…"

Wie gern gebrauchen wir auch in der Erziehung diesen Vater im Himmel, der herabschaut auf uns - oder, besser gesagt, auf die Kleinen! Der große strafende Gott, der noch viel größer und stärker und gefährlicher ist als die Großen, die sowieso die Macht ausüben.

Wie viele Christen sind mit dieser Angst groß geworden, dass alles, was sie tun und lassen, von Gott beobachtet wird und man immer der Strafe dieses bewachenden Gottes ausgesetzt ist?

Wer ist dieser Gott, der immer herabschaut auf uns? Ist er so etwas wie die Geheimkamera im Big Brother, durch die die Beteiligten ständig beobachtet werden?

Muss man nicht dauernd in Angst leben vor diesem Auge Gottes, das immer auf uns gerichtet ist, das uns auch in den intimsten Momenten nicht allein lässt?

Wenn ich in unserm Garten bin und so in den Himmel schaue, kommen mir die Satelliten in den Sinn, durch die wir ständig für einige Interessierte zu sehen sind. Ich mag noch so allein sein, von niemandem beobachtet, aber von oben kann man mich immer sehen. Nirgends bin ich verborgen.

Ich muss sagen, ich bin dankbar dafür, dass ich eher Angst habe vor diesem Beobachtet-werden, als davor, dass Gott mich sieht. Obwohl von der Angst vor dem strafenden Gott bestimmt im Unterbewusstsein auch etwas hängengeblieben ist.

Als die schwangere Hagar auf der Flucht vor Sarah und Abraham von Gott angesprochen wird, erfährt sie, dass Gott ihr Schutz und Geleit ist. Ihre Erfahrung drückt sie aus mit den Worten, die unseren Monatsspruch bilden und von ihr als Name Gottes, als Charakteristik dieses Gottes gebraucht werden: „Du bist ein Gott, der mich sieht". Für diese einsame Mutter in der Wüste ist Gott der einzige Halt. Sie erfährt Gott als den Begleiter, den Beschützer. Wenn sie Angst hat, dann vielleicht vor wilden Tieren oder vor Hunger und Durst. Ihre Sorge ist nicht, dass Gott sie sieht, im Gegenteil: die Erfahrung, dass Gott sie sieht, gibt ihr Zuversicht und Sicherheit.

Wollen wir es nicht auch wagen, uns so wie Hagar von Gott sehen zu lassen? Wie vielen Notlagen in unserem Leben würden wir anders entgegensehen, wenn wir uns bewusster wären, dass Gott uns sieht, dass Gott da ist und uns nicht allein lässt!

Vielleicht können wir das sogar üben: wenn wir morgens wach werden, bevor oder während wir aus dem Bett steigen, sagen wir einfach - wie Hagar - : „Ich danke dir, Gott, dass du mich siehst". Und wenn uns die Aufgaben und Anforderungen des Tages zu überwältigen drohen, uns immer wieder diesen Gedanken ins Bewusstsein rufen: Gott sieht mich, Gott ist da, auf seine Hilfe kann ich vertrauen. Er sieht mich, er sieht meine Lage, er weiß, was ich benötige. Und wenn es dunkel wird um mich und ich nicht weiter sehen kann, Gott sieht mich auch im Dunkeln. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir (Psalm 139,3-5).

Und wenn wir den Kindern Gott nahe bringen wollen, sollten wir sie nicht mehr an den Gott verweisen, der uns aus allen Ecken beobachtet und bespitzelt, um uns zu strafen. Kein Wunder, wenn Kinder, die eine solche Erfahrung mit Gott gemacht haben, später von Gott nichts mehr wissen wollen.

Wenn sie aber an uns sehen, dass wir dankbar sind, weil der Gott, der uns sieht, unser Helfer, unser ständiger Begleiter ist, dann haben wir vielleicht einen wichtigen Schritt getan, ihnen das Fundament zu geben, auf dem ihr Glaube wachsen kann.
(geschrieben für das Evangelische Gemeindeblatt der "Iglesia Evangélica del Río de La Plata" in Argentinien)

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Dieter Kunz
Pfarrer im Ruhestand, Baradero

Homepage: Evangelische Kirche am La Plata (leider nur in spanischer Sprache)

Die Meditationen wurden veröffentlicht im Rahmen der
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